Türkei
Das Gebiet der türkischen Teppicherzeugung erstreckt sich über den gesamten Raum des heutigen Regierungsbereichs dieses Landes und ist der am weitesten nach Westen reichende Teil der Knüpfgebiete Asiens. Die von dort kommenden Teppiche werden unter dem Begriff ,,anatolische Teppiche" zusammengefasst und tragen auf die Gegend ihrer Herstellung oder auf deren Handelszentren bezogene Namen. Das asiatische Gebiet der Türkei wird Anatolien genannt; der kleine europäische Bereich zählt nicht mehr zu Anatolien. Daher darf die geringe Anzahl der Teppiche aus diesem Gebiet, vornehmlich aus dem 19. und 20. Jahrhundert, nicht mehr zu den anatolischen Teppichen gezählt werden. Anatolien, auf Türkisch Anadolu, ist eine von Gebirgen durchzogene Hochebene, die im Süden und Norden von mächtigen Gebirgszügen begrenzt ist und im Westen zum Meer hin abfällt. Dieser Teil ist die fruchtbarste Landschaft, während der Osten vorwiegend Hochgebirgscharakter hat und im Gebiet des Berges Ararat gegen Armenien hin an den Kaukasus angrenzt.
Die Küsten haben mildes Seeklima und erhalten durch die Gebirge ausreichend Regen. Das Klima des Hochplateaus Anatoliens ist von starken Temperaturschwankungen geprägt. Im Sommer herrscht große Trockenheit, so dass die Flüsse austrocknen, während der Winter starke Schneefälle bringt. Daher entwickelten sich, klimatisch und geographisch bedingt, die wichtigsten Teppichmanufakturen in West- und Mittelanatolien. Die geringe Produktion des östlichen Teiles - vornehmlich im 16., 17. und 18. Jahrhundert - entstand durch die Dorfbewohner. Die beste Wolle kommt aus den westanatolischen Bezirken um die Städte Ushak, Konya und Ladik. Das wichtigste Anbaugebiet für Baumwolle liegt im Südosten, südlich der Stadt Kayseri, in den zum Meer abfallenden Ebenen um den Golf von Iskenderun. Bereits in der frühen Jungsteinzeit soll Anatolien einen hohen Kulturstand besessen haben. In der Nähe der fruchtbaren Ebene von Konya grub man stadtartige Großsiedlungen aus, die reich an Wohn- und Kultbauten aus Lehmziegeln gewesen zu sein scheinen. Keramikgegenstände fand man zwar noch nicht, stattdessen aber Holz- und Steingefäße. Das erste nachweislich staatsbildende Volk Anatoliens waren die Hethiter, ein Volk mit indogermanischer Sprache. Ihr Reich war im 17. Jahrhundert vor Christus die führende Macht im Orient. Im 13. Jahrhundert vor Christus kam es zu einem erneuten Höhepunkt nach dem Sieg über die Ägypter. Es folgte die Herrschaft der Phrygier, deren König Midas um die Wende vom 8. zum Jahrhundert über ein mächtiges Reich mit der Hauptstadt Gordion herrschte. Aus dieser Zeit stammen die frühesten Textilfragmente Anatoliens in Sumak-Technik. Diese wurden bei Ausgrabungen gefunden. Danach gelangten die ebenfalls indogermanischen Lydier zur Herrschaft über Westanatolien.
Einer der Könige dieses fleißigen, handeltreibenden Volkes, das bereits über eine hochentwickelte Färbekunst verfügte, war Kroisos. Er galt als reichster Monarch der damals bekannten Welt, bis er 546 v.Chr. dem persischen Großkönig Kyros unterlag. Lydien und die blühenden griechischen Kleinstaaten wurden dem persischen Großreich angegliedert. Im 2. und 1. Jhd. v.Chr. waren die Römer die Herren Anatoliens. 330 nach Chr. wurde Byzanz die neue Hauptstadt des römischen Reiches. Nach mit den Balkanstaaten und den islamischen Arabern blieben nur noch Kleinasien und Griechenland übrig. Doch das Land erholte sich bald und konnte sich erneut Mesopotamien und Syrien einverleiben. Im 11. Jahrhundert kam es durch das Vordringen der Seldschuken zu einer Wende. Die Seldschuken sind ein aus den Ogusen hervorgegangenes Volk in Turkestan, dessen Name von dem Anführer Seldschuk abgeleitet wurde. Von der Hochebene des Tarim-Beckens Ostturkestans gingen drei Eroberungszüge der Seldschuken aus und endeten erst mit der Einnahme Kleinasiens und der allgemeinen Verbreitung der seldschukischen Kultur. Unter ihrer Herrschaft wurde die Stadt Konya zur wichtigsten muselmanischen Residenz. Aus Persien, Armenien und Byzanz kamen Wissenschaftler und Architekten, sowie Kunsthandwerker nach Konya und anderen bedeutenden Städten. Bereits im 13. Jahrhundert sind sogenannte Seldschuken-Teppiche in Konya bekannt. Sie gehören zu den ältesten erhaltenen Knüpfobjekten des Vorderen Orients. Der Knüpfteppich ist wahrscheinlich erst mit den Seldschuken nach Anatolien gekommen. Im Zentralgebiet Kleinasiens um die Stadt Konya, in Persien und auch im Kaukasus muss der Knüpfteppich spätestens seit dem 12. Jahrhundert Fuß gefasst haben. Sein Ursprung ist weit östlich im Gebiet von Pazyryk bereits viele hundert Jahre vorher anzunehmen, wie durch Grabfunde festgestellt worden ist. Der geknüpfte Teppich entstand als Schutz gegen Kälte wahrscheinlich als Imitation von Tierfellen durch die Hirtennomaden, denn diese besaßen weniger Felle als die Jägernomaden, dafür aber reichlich Wolle. Die Oberfläche der ersten Knüpfeppiche war zotig wie ein Fell.
Die Knüpftechnik diente allein dazu, durch die lang heraushängenden Fäden das Gewebe dicker, wärmer und weicher zu machen. Vorher kannte man nur das Walken von Filzmaterial. Die ersten uns bekannten und vollständig erhaltenen Teppiche aus Zentralanatolien sind in ihrer Musterung Fellen ähnlich, in manchen wurde sogar ein aufgespanntes Fell als Muster dargestellt. Die weitere Entwicklung macht jedoch deutlich, wie der Flor immer kürzer geschoren und die Knoten immer dichter gereiht werden und dadurch die dekorative Wirkung des Teppichs seinem Verwendungszweck übergeordnet wird. Durch die feine Gestaltung der Knüpferzeugnisse und die weite Verbreitung dieser Kunst in Anatolien wurden auch europäische Händler auf die dekorativen Eigenschaften aufmerksam. Durch die Handelsbeziehungen von Venedig und Byzanz begannen die ersten offiziellen Importe von Orientteppichen nach Europa. Schnell eroberten sie den Markt und wurden zu begehrten Handelsobjekt. Bald ließen sich Königshäuser und hochgestellte Persönlichkeiten morgenländische Teppiche auf Bestellung anfertigen. Exemplare aus Ushak zeigen, dass auch die Wappen der Besteller in die Teppiche eingearbeitet wurden. Die Osmanen eroberten 1453 Konstantinopel und machten die Stadt zur Metropole ihres Reiches. Durch die Eroberung Syriens, Nordwestpersiens (1514 Eroberung von Täbris) und Ägyptens (1517 Einnahme von Kairo) wurden diese Länder dem Reich angegliedert. Unter den Osmanen entwickelte sich eine hohe Kultur, denn der Sultan konnte die besten Knüpfer aus Nordwestpersien und Ägypten an seinen Hof ziehen und über die großen Manufakturen Kairos und Nordwestpersiens verfügen. Nach einer bewegten Geschichte (1683 Niederlage vor Wien, im 19. Jahrhundert Selbständigkeit Ägyptens) verlor das osmanische Reich im ersten Weltkrieg das Gebiet von Arabien, Palästina, Mesopotamien, Syrien und den Libanon. Nach Abschaffung des Sultanats 1922 errichtete Kemal Atatürk den neuen türkischen Staat. Die geometrischen Teppichmuster machten zwar von den Tierfellteppichen bis zum 19. Jahrhundert eine gewisse Entwicklung durch, jedoch sind meist noch die Formen und Muster der frühen Seldschukenteppiche zu erkennen. Vierhundert Jahre der Entwicklung scheinen ohne nennenswerte Auswirkung an diesen Produkten vorübergegangen zu sein. Vielleicht erklärt sich dies aus den besonderen Bedingungen der Produktion. Von seinem Ursprung her ist der Knüpfteppich ein Erzeugnis der Nomaden. Später wird er in die Gebiete sesshafter Bevölkerung, der Bauern, verpflanzt. Auf der nächsten Stufe wandert er in die Städte, wo sich bald wichtige Manufakturen entwickeln.
Von Bedeutung sind die Manufakturen des 16. und 17. Jahrhunderts, die an den Hof gebunden waren und vorwiegend für ihn arbeiteten, jedoch auch Privataufträge ausführten. Diese Manufakturteppiche entwickeln in Form, Farbe und Muster einen eigenen Charakter. Sie wurden feiner gearbeitet als die Bauern- und Nomadenobjekte. Doch greifen die Manufakturen meist auf die Muster der frühen Nomadenzeit zurück und gestalten ihre Formen weiter aus. Mit dem Kommen und Gehen der verschiedenen Dynastien verlieren die einzelnen Manufakturen an Bedeutung, da ihre Auftraggeber und die Mäzene der Kunst ausbleiben. Hieran lässt sich erkennen, dass Manufakturteppiche nur während bestimmter Epochen von Bedeutung waren, während die Nomaden und Bauern weitgehend von der Entwicklung der Geschichte verschont blieben und ihre Arbeiten in Heimarbeit unbeeinflusst weiter frei gestalten konnten. Die Muster und Färberezepte wurden von Generation zu Generation weitergegeben, so dass die Ornamente und Qualität stets gleichblieben. Die frühen einfachen und ursprünglichen Formen der Nomaden- und Bauernteppiche wurden von den Hofmanufakturen aufgenommen und entwickelt. Unbewusst kehrten diese Muster wieder in die Nomaden- und Bauernbehausungen zurück, da die Manufakturmuster als Mustervorlage für die heimische Produktion dienten. Die übernommenen Formen wurden wieder geometrisiert und in ihrer Gestalt unregelmäßiger. Daher rührt auch die Vielseitigkeit der türkischen Muster. Im Gegensatz zu den Manufakturen stellten die Nomaden keine größeren Formate her, denn einerseits wurden im Zelt oder in der Dorfwohnung keine umfangreichen Teppiche benötigt, andererseits mussten die Knüpfstühle in die Behausung passen und auch leicht transportabel sein. Das Material, das die Nomaden verarbeiteten, war ausschließlich ihr eigenes Produkt, und zwar Wolle. Man arbeitete ohne Vorlagen, schöpfte nur aus den eigenen Erfahrungswerten und den Vorbildern. Einflüsse von außen konnten sich nur bedingt durchsetzen, da diese Menschen meist an ihre Dorfgemeinschaften gebunden waren und nur Kenntnisse aus den Produkten der Hofmanufakturen gewinnen konnten. Das geknüpfte Stück war vorwiegend für den eigenen Bedarf bestimmt, so dass Unregelmäßigkeiten wie kleine Farbunterschiede oder Musterverschiebungen übergangen wurden.
Die Kunst des Färbens war zwar bekannt und perfekt, konnte jedoch durch die primitiven Einrichtungen nicht vollendet ausgeübt werden, so dass in den einzelnen Farbtönen immer Unterschiede bestanden. Musterverschiebungen und Farbabweichungen stellten in den Augen der Hersteller keine Mängel dar; im Gegenteil, denn nach ihrem islamischen Glauben konnte der Mensch kein vollendetes Werk schaffen, da dies allein der Übernatürlichkeit vorbehalten ist. Geographische und geologische Unterschiede der einzelnen Gegenden 34 der verschiedenen Manufakturen und Knüpfgebiete begründen die Verschiedenartigkeit der Teppichproduktion. Allein das Färben war abhängig von Einflussfaktoren wie z.B. Beschaffenheit des Wassers, Vorkommen der einzelnen Pflanzen und Wurzeln sowie chemischer Substanzen - für die zu erzielende Wirkung der Farben ausschlaggebende Voraussetzungen. Aufgrund dieser Gegebenheiten lassen sich Provenienzbestimmungen durchführen. Hierzu dienen selbstverständlich noch andere Tatsachen wie Herstellungstechnik, charakteristische Muster sowie verschiedenartige Materialien, die für ihre Herkunft bestimmend sind. In der Stadt war die Teppichherstellung ein Handwerk, das für einen festen Abnehmerkreis, auch im Ausland, arbeitete. Es gab keine Beschränkung im Format, da das Platzproblem und das Auf- und Abbauen der Knüpfstühle entfiel. Dadurch wurden schon früh Teppiche von beträchtlicher Größe angefertigt. Auch die Farbpalette wurde erweitert. Die Wolle blieb wichtigstes Material. Die Verwendung von Baumwolle im Grundgewebe nahm in einzelnen Gebieten, entsprechend ihrem Vorrat, zu. Durch Einflüsse von außen kam es im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer Erweiterung der Musterformen. Durch den kulturellen Austausch und die verschiedenartigen Beziehungen zu Persien wurden die filigranartigen Blumenrankenmuster als Vorbilder geschätzt und auch für die eigene Mustergestaltung übernommen, wobei man jedoch am graphischen Grundprinzip festhielt. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden die Kairener Werkstätten, ehemalige Hoflieferanten, aufgegeben. Innerhalb der anatolischen Teppichproduktion tritt im 17. Jahrhundert der Gebetsteppich in den Vordergrund. Er verdankt seine Entstehung der Vorschrift, beim Beten müsse eine reine Stelle am Boden aufgesucht werden, was die Benutzung einer Unterlage nahelegt. als Muster dient das Mihrab, das die in der Moschee nach Mekka gerichtete Wand vertreten soll. Innerhalb dieser Gruppe finden sich alle Stilrichtungen - von Teppichen in schlichter, geometrischer Formgebung bis zu solchen mit filigranartigen Mustern. Obwohl der Gebetsteppich in allen islamischen Ländern geknüpft wurde, gibt es in Anatolien die größte Vielfalt. Dies führt zu der Annahme, dass dieses Land die ursprüngliche Heimat der Gebetsteppiche sein könnte.
Der Teppich war eine kultische Einrichtung, seine Motive hatten ursprünglich suggestive Kraft und Schutzfunktion. Bereits im 16. Jahr- hundert wurden in der Stadt Konya sogenannte Reihengebetsteppiche geknüpft. Bei dieser Form liegen verschiedenfarbig gestaltete Gebetsnischen nebeneinander, so dass auf einem Teppich mehrere Personen auf den einzelnen Nischen Platz fanden. Diese Objekte wurden meist für Moscheen geknüpft, deren gesamten Boden sie bedeckten. Reihengebetsteppiche, auch Saf genannt, werden manchmal auch irrtümlich als sogenannte Familien-Gebetsteppiche bezeichnet. Die Türkei ist das originäre Kulturzentrum der Knüpfkunst, und zwar in allen Herstellungsbereichen, nomadisch-bäuerlicher sowie städtischer Manufaktur-Teppiche. Als Mittelpunkt strahlte sie in alle Richtungen aus.
Mit dem Aufstieg des Osmanen-Reiches wurde Ushak bereits im 14. Jahrhundert als Kulturzentrum bekannt. In den folgenden Epochen entstanden verschiedene Teppichgruppen, es sind dies die
Holbein-Teppiche,
Vogel-Ushaks,
Tschintamani-Ushak,
Lotto-Teppiche,
Stern-Ushaks,
Medaillon-Ushaks.
In der Entwicklung des 15.-17. Jahrhunderts ergaben sich diese verschiedenen Gruppierungen; ihnen sind durch europäische Sammler und Wissenschaftler zum Teil irreführende Namen gegeben worden. Da aus der Geschichte der Stadt Ushak keine Dokumentationen für den Nachweis der Herkunft der verschiedenen Gruppen vorliegen, musste man bei der Bestimmung der einzelnen Teppiche von Abbildungen und Mustern, die von europäischen Künstlern wiedergegeben wurden, ausgehen. So wurde die mit durchgehendem Gitter und Arabesken-Muster gearbeitete Gruppe nach dem Maler Lorenzo Lotto benannt, der auf seinen Bildern dieses Muster bevorzugte. Holbein malte einen anderen Typ, der wahrscheinlich früher entstand. Dieser enthält kleine Medaillons auf durchgehendem Grund. Während die letztgenannte Art der früheren Gruppe der Ushaks zuzurechnen ist - hierzu könnte man noch Exemplare der Vogel- und Tschintamanische-Teppiche zählen, evtl. noch die früh entstandenen Lotto-Teppiche wurden die restlichen Gruppen in späterer Zeit geknüpft. Die früheren Teppiche enthalten streng geometrische Motivvariationen, die noch klar von den seldschukischen Knüpfobjekten geprägt waren. Der Einfluss Persiens wird mit den filigranartigeren Mustern in den Medaillon- und Stern-Ushaks deutlich. Für die Technik in der Stadt Ushak wurde meist der türkische Knoten verwandt . Rotgefärbte Wolle für die Schussfäden sind keine Seltenheit, das Wollmaterial des Flores besteht aus widerstandsfähiger, meist glanzreicher Wolle. Die Farbskala der Ushaks reicht bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts von einem strahlenden Rot, leuchtendem Blau, kräftigen Gelb bis zu Grün/Blauvariationen. Vom 18. Jahrhundert an werden die Farben matter, sind nicht mehr so leuchtend; die Einflüsse der benachbarten Stadt Smyrna, dem heutigen Izmir, sowie die auch damit verbundenen Bestellungen aus Europa für Konsumteppiche lösen die großartige Teppichkultur der Vorzeit auf. Durch die stark westliche Lage der Stadt Ushak wird dieser Prozess unterstützt.
Die frühen sogenannten Dorfteppiche Kleinasiens zeigen eine starke Anlehnung an die Manufaktur- und Stadtteppiche der gleichen Regionen. Beim Betrachten der Bordürenornamentik wird deren Abwandlung von den frühen Siebenbürgen-Teppichen deutlich. Der Aufbau der Muster ist sich in vielem ähnlich, beispielsweise in der Medaillon-Ornamentik als auch in den die Grundfläche überziehenden Mustern. Im Gegensatz zu den persischen Nomadenteppichen der gleichen Zeit zeigen die Dorfteppiche der Türkei fast ausschließlich Symmetrie und Rapport im Muster. Bei Teppichen der nomadisierenden Stämme der östlichen Ursprungsländer sind die Muster wahllos über die Fläche des Teppichs verstreut. Dies kann man auf die Umgebung und die Lebensumstände der Hersteller zurückführen. Während das Nomadentum keine feste Behausung kennt und dadurch stärker mit der Natur verbunden ist, leben die Hersteller dieser Teppiche sesshaft in Dorfgemeinschaften. Die Stadtnähe wirkte sich dabei wesentlich auf das kulturelle Leben aus und bestimmte auch die Kunstentfaltung der Dörfer. Diese Beobachtung gilt für alle weiteren Dorfteppiche des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Einflüsse der großen türkischen Manufakturzentren waren auch nach deren Niedergang in den umliegenden Dörfern spürbar. Die dörfliche Knüpfkunst Kleinasiens blieb lange Zeit unbeachtet und wurde als zweitrangige Kunst eingestuft. Meines Erachtens spiegelt sich jedoch gerade in diesen Teppichen der wahre Ausdruck der kleinasiatischen Knüpfkunst wider. Die einzelnen Knüpfer der Dörfer hatten zwar große Vorbilder in den Teppichen der städtischen Manufakturen, verliehen aber in ihren Knüpfobjekten ihrem eigene Farbempfinden und ihrem Gestaltungssinn Ausdruck. Die Knüpfer der Städte waren auf das Material aus den umliegenden Dörfern angewiesen. Die Muster wurden meist nach höfischer Tradition und auf Bestellung angefertigt. Kam es zu einer Änderung in der Kunstrichtung oder im Geschmack, so passte man sich in den Städten sofort dem allgemeinen Trend an, denn die Manufakturen waren auf den Absatz ihrer Teppiche angewiesen. Für viele Knüpfer der Städte war der Knüpflohn der einzige Verdienst. Auch die Nachfrage aus dem Ausland bestimmte die Gestaltung der Manufakturteppiche: man richtete sich in Farbe, Muster und Größe nach den Wünschen der ausländischen Besteller. Hieraus erklärt sich die Tatsache, daß bestimmte Gruppen wie z.B. Ushak, Ghiordes, Istanbul mit bestimmten Mustern in genaue Zeitabschnitte einzuordnen sind. Dadurch lässt sich das Alter dieser Teppichgruppe wesentlich leichter bestimmen als das der Dorfteppiche. Der Dorfteppich selbst stellt ein Stück türkischer Volkskunst dar. Seine Herstellung war nicht durch einen materiellen Hintergrund, sondern allein durch die künstlerische Entfaltung des Knüpfers geprägt.
Man unterscheidet drei verschiedene Typen der Melas-Teppiche, den Gebetsteppich mit dem rautenförmigen Giebel, den Medaillon-Melas und den Ada-Melas (sogenannter Kolonnen- oder auch Insel-Melas). Die Stadt Melas gibt den Arbeiten der gesamten Region ihren Namen, wobei sich diejenigen der südwestlich gelegenen Halbinsel mit dem Zentrum Karaova besonders deutlich von den Erzeugnissen aus Melas selbst oder aus der unmittelbaren Umgebung der Stadt unterscheiden. Die Ada-Melas stammen von der Halbinsel, die der Ebene von Karaova vorgelagert ist und sich bis Bodrum hinzieht. Zum Knüpfgebiet von Melas gehört auch Fethiye, das frühere Megri, dessen Teppiche in etwas einfacherer Art gestaltet sind.
Kulas - sogenannte Friedhofsteppiche
Die Stadt Kula mit ihren heute nur noch ca. 10000 Einwohnern liegt etwa 100 km vom heutigen Izmir entfernt. Von 17., bis l0 bis 19. Jahrhundert zählte die Stadt neben Ghiordes, Ushak, Ladik und Bergama zu den bekannten Knüpfzentren. Auch heute noch werden dort gute Knüpfteppiche hergestellt. Es werden traditionsreiche Muster aus der gesamten Türkei verwendet und meist berühmte Teppichmuster nachgeknüpft. Man arbeitet mit gutem Wollmaterial in verhältnismäßig dichter Knüpfung. In europäischen Sammlerkreisen wurde Kula durch die sogenannten Marzalik (Begräbnisteppiche) bekannt. Diese Teppichgattung wurde meist in Größen von 180 bis 200 cm Länge und 100 bis 300 cm Breite hergestellt. Verwendung fanden sie für die Zeremonie der Begräbnisse; die charakteristische Musterung stellt zumeist eine Zypresse und einen Grabhügel, die Symbolik des Friedhofs, dar. Die Teppiche wurden von Familienangehörigen hergestellt, ähnlich, wie wir es bei den sogenannten Kis-Ghiordes finden. Größtenteils wurden die Friedhofsteppiche nach der Zeremonie an Moscheen als Geschenk weitergereicht, seltener wurden sie den Toten als Grabbeigabe mitgegeben. Daraus erklärt sich auch, dass sehr wenige dieser Teppichgruppe in den Handel und in die Sammlungen eingingen. Zum Knüpfgebiet von Melas gehört auch Fethiye, das frühere Megri, dessen Teppiche in etwas einfacherer Art gestaltet sind.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt es im Westen der Türkei zu einer Renaissance der klassischen Knüpfkunst. In der Stadt Istanbul, dem damaligen Konstantinopel, wurden einige Knüpfereien damit beschäftigt, in feinster Knüpfung alte, traditionelle Muster möglichst realistisch nachzuknüpfen. Die Vorlagen gingen auf die persische Knüpfkunst des 16. und 17. Jahrhunderts zurück. Man wollte die nicht mehr gut erhaltenen, meist in Museen befindlichen Teppiche wieder verwendbar machen. Die ersten Ergebnisse waren bereits den Originalen so ähnlich, dass sie kaum von diesen unterschieden werden konnten. Es gibt eine Gruppe von Teppichen, die in diese Entstehungszeit fallen und teilweise heute noch mit den historischen Teppichen des 16. und 17. Jahrhunderts verwechselt werden. Bemerkenswert ist, dass das Material und die Technik perfekt beherrscht wurden; es waren die Knüpfer der armenischen Gebiete, die nach Istanbul gerufen wurden, und sie haben ihr Können in dieser Zeit wahrhaft unter Beweis gestellt. In dieser Zeit war man sich bewusst, dass gegebenenfalls die eigenen perfekten Produkte mit den klassischen frühen Teppichen verwechselt werden konnten. Daher versah man jedes einzelne Stück mit einer Signatur, die eindeutig die Herkunft des Stückes belegt. Die westtürkischen Knüpfereien wie Istanbul, Kum Kapu und Hereke knüpften ihre Erzeugnisse aufgrund der eingegangenen Bestellungen. Ihre Qualität war so vollendet, dass die Nachfrage bereits die Produktion übertraf. Zu dieser Zeit wurden auch broschierte Seiden- und Wollteppiche angefertigt, die zum Teil mehr als eine Million Knoten pro Quadratmeter enthielten. Noch heute ist die Herstellung feinster Seiden-Teppiche in Hereke und Kayseri beheimatet. Die Knüpfdichten erreichen weit über eine Million Knoten pro Quadratmeter.
Die ersten Exemplare der Tulpen-Ladiks kamen Mitte des 18. Jahrhunderts in der Zentraltürkei auf. Die frühen Stücke weisen noch sehr feines Wollmaterial in zweifacher Verzwirnung als Kette und sehr feine, dünne Schussfäden auf, die ein dichtes, feines und festes Gewebe entstehen lassen. Ein weiteres Merkmal für frühe Stücke ist die grüne Grundfarbe im Giebel, die mehr zu Blau hin tendiert, sowie das strahlende Rot in der Gebetsnische. Ein anderer markanter Farbstoff ist das sogenannte Kermes, das aus Läusen gewonnen wird, die an der Rinde der sogenannten Kermes-Eiche zu finden sind. Zur Farbgewinnung wurden die Weibchen im April und Mai von den Eichen abgekratzt, getrocknet, pulverisiert und als Färbemittel verarbeitet. Im 19, Jahrhundert verflachen die Farben, und die Arbeit wird vereinfacht, was sich in einem festeren Griff sowie einer groberen Knüpfung äußert.
In Anatolien war es im 18. und 19. Jahrhundert Brauch, dass die Mädchen während ihrer Brautzeit Teppiche knüpften. Diese Teppichgattung wird als ,,Kis“ bezeichnet, da das Wort Kis im Türkischen Mädchen bedeutet. Die Knüpfobjekte dienten als Aussteuer und waren gleichzeitig ein Beweis für das Können ihrer Herstellerin. Diese Stücke wars Schmuck der Wohnung und Gebetsteppich in Doppelnischenform in einem.