Muster
Die Umgebung der Hersteller prägt die Muster ihrer Erzeugnisse.
Es werden zwei grundverschiedene Darstellungsarten unterschieden, einmal die geometrisierten Formen der Nomaden- und Dorfteppiche, zum anderen die floralen und teilweise figürlichen Ornamente der Manufakturerzeugnisse und der städtischen Heimarbeiten. Die Gestaltungsweise der Nomaden ist beeinflusst von den Eindrücken, die sie aufgrund ihrer Lebensweise von der Natur erhalten. Ihre Bewunderung der Naturerscheinungen und -vorgänge wie Tag und Nacht, Sonne, Mond und Sterne sowie das nächtliche Firmament prägen die Ornamentik und die Farben ihrer Teppiche. Diese Darstellungen enthalten die Urformen, wie sie aus der Empfindung der in engstem Kontakt mit der Natur und ihren Elementen lebenden Menschen gesehen werden. Die Verehrung der Pflanzen und Tiere der Natur führt sie dazu, eine allgemein gültige Gestaltungsform zu fin- den, die zeichenhaften Charakter hat und gleichzeitig im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt. Diese allgemein gültigen Formen werden individuell geprägt und finden in den einzelnen Provenienzen in Turkmenien, dem Kaukasus und Südpersien ihren spezifischen Ausdruck. Ein achtzackiges Sternmuster beispielsweise ist lediglich eine Erkennungsform für den am Firmament strahlenden Stern. Einflüsse auf die Gestaltung einzelner Motive übt nicht nur die Umgebung, sondern auch die Überlieferung von Generation zu Generation und nicht zuletzt die geschichtlichen Ereignisse aus.
Die Musterentwicklung im Kaukasus ist an der Formgestaltung des Drachens gut zu verfolgen. Bei den Drachenteppichen des 16. Jahrhunderts finden sich naturnah gestaltete Tierkörper, bei denen Kopf, Schuppen, Füße und Schwanz deutlich zu erkennen sind. Bereits 100 Jahre später ist die Form des Drachens nur noch angedeutet und führt in der weiteren Entwicklung zu einem geometrischen Querbalkenmotiv, bei dem die Schuppen durch gelbe Halbmonde ersetzt werden. Der Grund für diese Umgestaltung liegt nicht zuletzt in der Unkenntnis des zugrundeliegenden ursprünglichen Motives. Ein weiteres Beispiel ist ein Muster der Seldschuken, ein stark stilisier- Vogelkopfmotiv, das in turkmenischen Teppichen des 19. Jahrhunderts beinahe unverändert verwendet wird.
Parallel zu den bei allen Nomaden vorhandenen allgemein gültigen Formen gibt es Motive, die individuell für einen Herstellungsort kennzeichnend sind. So bilden z.B. die Bewohner der Gegend von Chondzoresk in große Oktogonflächen gelegte Wolkenbänder ab; die Gebirgsbauern aus der Tschelaberd-Region stellen die Sonne als strahlendes, stark stilisiertes Sonnenmotiv dar. Diese Musterformen sind über Jahrhunderte hinweg in der gleichen Region geblieben und können als stammesspezifische Muster betrachtet werden. Im Vergleich zu den turkmenischen Stilformen zeigt sich eine direkte Parallele.
So, wie die strahlende Sonne für die Gebirgsnomaden im Kaukasus ein Ausdruck ihres Stammes und ihr Emblem war, besitzen in Turkmenien die einzelnen Gruppen ihr eigenes, ihnen im Ursprung vorbehaltenes Stammesemblem, kurz Göl genannt. Nach Moschkova bedeutet das turkmenische Wort „Göl“ ,,Muster“, ,,Zeichnung“; ,,Gül“ wird dort mit „Blume“ übersetzt. Es ist allgemein üblich, die Bezeichnung ,Göl für ein Motiv zu verwenden, das von dem Stamm geknüpft wird, aus dem es entstanden ist und dem es zugeordnet wird. ,„Gül" wird dann gebraucht, wenn es nicht mehr als eigenes Emblem eines Stammes benutzt wird, sondern mehr oder weniger als dekoratives Muster von einem anderen Stamm übernommen wurde. Ein Beispiel sind Tekke-Arbeiten, in denen Salor-Güls aufgrund ihrer ornamentalen Eigenschaft verwendet wurden.
Die Muster der Teppiche werden durch starke Farbgegensätze geprägt. Diese entwickelten sich aus der Freude an kräftigen Farben, die die eintönige Umwelt der Steppenlandschaft beleben. Auch mag das ausgeprägte Empfinden der Naturbewohner für Dunkelheit und Helligkeit ein Grund für die Farbgegensätzlichkeit gewesen sein. Das Charakteristikum von städtischen und Manufakturerzeugnissen besteht in größtmöglicher Perfektion. Sie äußert sich in dem Bestreben nach einer möglichst vollendeten, symmetrischen Anordnung der Muster und einer perfekten Gestaltungsform der einzelnen Motive.
Weiterhin bemüht man sich um eine höchst naturalistische Darstellung der Ornamentik. Man achtet auf einen nuancierten Farbreichtum sowie auf ein qualitätvolles Knüpfmaterial. Besondere Bedeutung messen die Stadtbewohner der Knüpfdichte bei. Dabei waren die Produkte der Hofkunst stets Vorbild. Diese wurden zusätzlich durch Silber- und Goldbroschierung sowie Seide als Grund- und Flormaterial bereichert.- Im Gegensatz zur einfachen, flächigen, symbolhaften Mustergestaltung sind die Manufakturteppiche mit kunstvollen, dekorativen, oft plastisch wirkenden Formen ausgestattet. Neben der Darstellung von Tieren und Menschen, zum Teil zu stark bewegten Gruppen zusammengeschlossen, werden Muster entwickelt wie die Arabesken, Blütenranken und Zweige sowie komplizierte Medaillons.
Als Beispiel sei die Moschee mit Kachelarbeiten in Isfahan genannt. Auch hier ist die Umgebung maßgeblich an der Mustergestaltung beteiligt. So werden beispielsweise Muster aus den Kachelarbeiten entnommen und in die Gesamtornamentik der Teppiche integriert. In Anlehnung an die Kachelarbeiten wurden Teppichmuster entworfen, die die Gesamtfläche möglichst dicht bedeckten.
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden in der Stadt Ghom Teppiche, deren Muster identisch auf den Kachelarbeiten der Moscheen der Stadt wiederzufinden sind.
Quelle: Peter Bausback, Antike Orientteppiche, Klinkhardt & Biermann, Braunschweig 1978