Indien
Die Tradition der Moguldynastie setzt sich durch die Produktion von Teppichen Ende des 18. und im 19. Jahrhundert fort. Die figurale Gestaltung von Tieren und Pflanzen gilt als künstlerischer Höhepunkt in Indien. Die Figuren dienten auch im 18. und 19. Jahrhundert als Vorlage feiner persischer Teppiche. Die natürliche Form der Tiere wird in Arabesken und Blütenranken bei den persischen Stücken versteckt angebracht, so dass nur noch die Kopfformen in den Rankenmustern erscheinen.
DIE INDISCHEN MOGUL-TEPPICHE UND DIE GRUPPE DER SOGENANNTEN MILLE-FLEURS-TEPPICHE
Aus den indischen Mogul-Gebetsteppichen entwickelte sich eine Gruppe von Gebetsstücken mit vergleichbarem Muster, die sogenannten Mille-Fleurs-Teppiche (Tausendblumenteppiche). Die ursprüngliche Gruppe der indischen Teppiche brachte in der Geschichte ihres Bekanntwerdens in Europa einige Probleme mit sich. Indische Teppiche wurden bis in unsere Zeit von vielen Experten als südpersischen Ursprungs angesehen. Bereits Anfang unseres Jahrhunderts erkannte jedoch eine Gruppe von Sammlern und Fachleuten ihre Herkunft aus Indien.
Indische Teppiche haben im Wesentlichen ihren künstlerischen Ursprung aus der islamischen Kunst sowie dem im Norden liegenden Tarim-Becken Ostturkestans. Bereits im 8. Jahrhundert beginnt die erste islamische Staatsbildung in Indien, die erste persische Bewegung auf indischem Gebiet. Der persische Einfluss verringert sich durch die afghanisch-türkischen Raubzüge nach Indien. Die Turk-Dynastien entfalten ihren Einfluss in diesem Gebiet, und es ist bis heute unbekannt, ob die Knüpfkunst bereits im 12. Jahrhundert in Indien bestand oder durch diese Stämme nach Indien kam. Die kulturellen und religiösen Verbindungen Indiens zum osmanischen Reich trugen unter anderem zur Musterentwicklung dieser Teppichgruppe bei. Da die Gebetsteppiche der Mogulzeit künstlerisch und handwerklich so großartig sind, muss eine Entwicklung der Knüpfkunst in Indien statt- gefunden haben.
Die textilen Funde am Rande der Wüste des Tarim- Beckens aus dem 11. und 12. Jahrhundert unterstützen die Ansicht, dass auch starke Einflüsse auf Nordindien von hier ausgingen. Es bestanden Verbindungswege zwischen Indien und Ostturkestan über die Pässe des Karakorum seit alters her. Es waren die Karawanenwege, die nur im Sommer passierbar waren, da Pässe bis zu 4000 m Höhe überwunden werden mussten. Diese Strecke ist ein Teilabschnitt der Seidenstraße. Mit der Verbindung nach Norden entstand gleichzeitig ein Handel mit dem benachbarten ostturkestanischen Gebiet und, damit verbunden, der Austausch von Kunstgegenständen und Erfahrungen.
Aus Reiseberichten wissen wir, dass durch diese Handelswege nicht nur Verbindungen nach Norden, sondern auch zu den im Westen lebenden persischen Nachbarn bestanden. Aus der in Südpersien liegenden Stadt Kirman sollen Teppiche nach Indien gebracht worden sein. Kirman ist der letzte bedeutende Teppichort auf der Reise von Persien nach Indien auf der Südroute. Es kann angenommen werden, dass nicht nur Teppiche aus Kirman, sondern auch aus anderen persischen Städten nach Indien gelangten. Wahrscheinlich waren die viel- fältigen Muster und die reichhaltige Farbgebung sowie die feine Gestaltung dieser Teppiche für Indien der Anreiz dafür, im 16. und 17. Jahrhundert in den höfischen Kunstzentren eigene Teppiche herzustellen. Im 16. Jahrhundert wird der indische Kaiser Humayun vertrieben. Durch die guten Kontakte zu Persien flüchtet er dorthin. Hier erhält er Unterstützung von Schah Tahmasp. Eine Armee mit persischen Soldaten sollte das indische Land zurückerobern. Nach erfolgreichen Feldzügen fanden die persischen Soldaten im nordindischen Raum der Hochebene von Kaschmir ein geeignetes Land, das ihrer Heimat entsprach. Sie trafen ein Gebiet an, das fruchtbar war, und ein Klima, das dem ihrer Heimat entsprach. Die Perser ließen teilweise ihre Familien nachkommen und hatten im Hochland von Kaschmir eine neue Heimat gefunden - in einem Land, in dem gute Wolle und Seide vorhanden waren. Die Pflanzenwelt war darüber hinaus so reichhaltig, dass die besten und schönsten Farben hergestellt werden konnten. Da die Perser, insbesondere die Frauen, das Knüpfen von Teppichen verstanden, waren alle Voraussetzungen dafür erfüllt, dass diese Kunst fortbestand. Der Austausch von Mustern mit Turkestan durch die Handelsverbindungen lag nahe, wodurch die Kaschmir-Produkte eine eigenständige Prägung erhielten.
Die Mogul-Zeit begann mit dem Gründer des Reiches Babur, einem Nachkommen Timurs, mütterlicherseits verwandt mit Dschingis- Khan. Er wurde 1483 geboren und starb 1530 in Agra. Er gewann die Schlacht von Panipat unweit von Delhi, wo westliche afghanische Stämme das Land zu erobern versuchten. Unter seiner Macht wurde Agra die Hauptstadt Indiens. Sein Sohn Humayun musste, nach Persien fliehen. Nach seiner Rückkehr verstarb er in Indien. Sein Sohn Akbar (1556-1605) - beeinflusst von der hohen Kultur Zentralpersiens - dehnt seine Macht auf ganz Indien aus. Er nannte sich selbst Mogul von Indien und war als Staatsmann und Feldherr einer der größten Herrscher Asiens. Durch sein Geschick und seine Klugheit gelang es, die zerstrittenen Hindus und Moslems zusammenzuführen. Hierdurch gab es keine religiösen Zwistigkeiten mehr, und die Menschen konnten friedlich nebeneinander leben. Er förderte die Wissenschaften und die Künste im eigenen Land. Die Unterstützung der Künstler, Architekten, Wissenschaftler und Handwerker durch den kaiserlichen Hof war gesichert. Sie wurden teilweise aus Persien an den indischen Hof zur Arbeit gerufen. Es war die Zeit der Gründung der berühmten Miniatur- und Kunstmalschulen Indiens. Das nordindische Gebiet von Kaschmir wird zur Sommerresidenz der Mogul-Kaiser ernannt. Die Kunstschulen und Manufakturen werden auf die nordindischen Städte Lahore und Agra ausgedehnt. Der Einfluss der zentralpersischen Kunst war wahrscheinlich so stark, dass Akbar sein Reich nach dem Vorbild Persiens aufbaute und regierte. Die Kunst erhielt charakteristisch persische Züge.
Die nach Indien beorderten Künstler wurden in ihrem Schaffen von der Umwelt ihrer neuen Heimat beeinflusst, so dass ein eigenständiger indischer Stil entstand. Von der Üppigkeit der Natur waren die einzelnen Künstler so fasziniert, dass sie die reichhaltige Welt der Pflanzen in ihren Kunstwerken festhielten. Die einzelnen Muster wurden bildhafter und fantasievoller, sie wurden kleiner und realistischer. Bedingt durch das feine Material wirken die einzelnen Objekte auch feiner, filigranartiger gestaltet als im Mutterland. Ebenso wie in der Teppichknüpfkunst entstehen Silberarbeiten und Miniaturen in feinster Ausführung. Die Teppiche selbst erhalten geschmeidiges und feines Wollmaterial aus Kaschmir, teilweise auch Seide, die aber meist als Grundmaterial dient. Durch dieses Grundmaterial ist eine sehr hohe Knotendichte zu erreichen. Während anfänglich die osmanische und persische Hofkunst Vorbild war, ging man auf eigenständige Muster über. Man gestaltete Tiere in allen Formen und Bewegungen sowie asymmetrisch auf dem Teppich verlaufende Motive und einseitig aufstrebende bewegte Blütenornamente, vor allem in den Gebetsteppichen. Diese erreichten ihre künstlerische Hochblüte in Nordindien, während die vorher erwähnten Muster im zentralindischen Raum, vor allem um Agra, ihre Heimat fanden. Blüten und Stauden sowie Zweige und Äste, Blattformen und Blütenblätter bekommen eine lebendige Form. Es entstehen Gebetsteppiche in so naturalistischer Art, dass sie dem Betrachter wie ein offenes Fenster erscheinen, das den Blick in einen Garten öffnet. Diese Liebe zur Natur, die aus den Teppichen spricht, mag auf eine enge Verbundenheit der Mogul-Kaiser zur Natur zurückzuführen sein.
Sie waren als leidenschaftliche Jäger und Naturfreunde bekannt. Dies kommt ebenfalls auf den Miniaturen der gleichen Zeit zum Ausdruck. Der Höhepunkt indischer Kunst wird erlangt in der Zeit Schah Dschahans, der von 1628-1658 lebte und die schönsten Bauwerke Indiens entstehen ließ. Der Tadsch Mahal, eines der prunkvollsten Bauwerke Indiens, wurde errichtet. Während seiner Herrschaft, die von einer übermäßigen Bautätigkeit und künstlerischen Interessen bestimmt war, führten unglückliche Staatsführung und missglückte Kriegszüge das Mogulreich an den Rand des Zusammenbruchs. Die Feinheit indischer Teppiche des 17. Jahrhunderts spricht dafür, dass sie nicht nomadischen oder bäuerlichen Ursprungs sind, sondern in Manufakturen, die dem Hofe unterstanden, geknüpft wurden. Wegen des feuchtheißen Klimas des Landes wurde der Teppich nicht zum Bedarfsobjekt der Bevölkerung und deshalb auch nicht heimisch. Aus diesem Grund sind selten bäuerliche oder Teppiche nomadischen Ursprungs in Indien zu finden. 50 Jahre nach dem Niedergang der Mogul-Kunst entwickelt sich in Südpersien ein neuer kultureller Mittelpunkt islamischer Kunst am Hofe der Zand-Dynastie (1731-1794) in Schiras. Unter Karim Khan werden Künstler aus Indien nach Schiras gerufen, um die Kunst seines Hofes zu bereichern. Sicherlich kamen zu dieser Zeit auch Mustervorlagen der bedeutenden Mogul-Gebetsteppiche nach Schiras und wurden dort in eigenständiger Weise verwendet.
Die Schiras-Wolle ist wesentlich härter und hornhaltiger als die weiche Mogul-Teppich-Kaschmir-Wolle. Während die indischen Mille-Fleurs-Teppiche noch auf seidene Ketten geknüpft sind, die in kurzen Abständen verschieden gefärbt sind, werden die späteren Teppiche in Schiras auf Wolle oder Baumwolle geknüpft. Die Strukturanalyse liefert einen Hinweis auf die Existenz zweier grundverschiedener Herstellungsorte. Es ist unmöglich anzunehmen, dass während der südpersischen Zand-Dynastie Kaschmirwolle, Seide sowie Farbrezepte und deren Grundmaterialien zusammen nach Schiras gebracht wurden, zumal zur Zeit der Zand-Dynastie eigene Teppiche mit dem Muster der Mogul-Gebetsteppiche hergestellt wurden. Von Schiras ging das Muster in weitere Knüpfgebiete Persiens über und war bis zur Jahrhundertwende beliebtes Motiv für aufwendige Gebetsteppiche. Im Ferahan-Gebiet wird das Mille-Fleurs-Muster in der gewohnten, geometrischen und geradlinigen Form wiedergegeben.