Geschichtlicher Überblick
Nicht nur die Umgebung, sondern auch die großen Völkerverschiebungen, die durch politische und religiöse Machtkämpfe zustande kamen, hatten einen großen Einfluss auf die Kunst. Deshalb ist die Geschichte des Nahen Ostens und Zentralpersiens in diesem Zusammenhang besonders interessant. Die Geschichte vermehrt das Verständnis für die verschiedenen rassischen Einflüsse, die die künstlerische Entwicklung geformt haben. Die Sumerer und Akkader, die 3000 v. Chr. in dem Gebiet der Euphrat- und Tigris-Mündung lebten, waren die eigentlichen Gründer der frühen und hoch entwickelten Kunst Südwest- und Zentralasiens. Keilschriften in Akkadisch, der semitischen Sprache Babylons und Assyriens, wurden aus der Zeit etwa 2500 v. Chr. gefunden.
Im zweiten Jahrtausend vor Christus stellte das Akkadisch die Diplomatensprache des Vorderen Orients dar und wurde auch in Syrien, Kleinasien und sogar Ägypten geschrieben. Diese Völker bauten bereits Kanäle, kultivierten den Boden und gründeten Städte, u. a. Akkad oder Akkadeh, eine Stadt in Nordbabylonien, deren genaue Lage nicht bekannt ist. Sie wurde 2300 v. Chr. von Zagon als Hauptstadt des ersten semitischen Großreiches auf mesopotamischem Boden gegründet. Diese beiden Volksgruppen lebten in Harmonie zusammen bis unbekannte, semitische Stämme (wahrscheinlich aus dem Nordosten) auftauchten und sie unterwarfen.
Diese Völkergruppen nahmen die Zivilisation der Sumerer und Akkader an und bauten um das Jahr 2500 v. Chr. die Stadt Babylon. Von dieser Zeit an bis zu Alexander dem Großen bildete sie das kulturelle Zentrum der gesamten vorderasiatischen Welt. Durch den Ausbau ihres Staates und die wohlhabende, starke Bevölkerung blühten zu dieser Zeit Handwerk, Kunst und Wissenschaft. In Babylon wurde in den überlieferten Keilschriften auf zarte, kunstvolle Gewebe hingewiesen. Reliefarbeiten aus Marmor, Becher, Masken Spiegel sind inzwischen wohlbehalten ausgegraben worden. Textilien blieben hingegen (bedingt durch den Zerfall des Materials) nur in geringerem Maße erhalten. Lediglich der Pazyrik-Teppich, der aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. stammt und in Südsibirien im Altaital gefunden wurde, überdauerte. Die ehemalige Grabbeigabe wurde durch das ewige Eis konserviert. Es ist also praktisch einem Zufall zu verdanken, daß dieses Knüpffragment erhalten blieb. Aus den Bevölkerungsschichten Babylons entstand in den höher gelegenen Tälern des Tigris das Reich der Assyrer.
Diese Volksgruppe besiegte Babylon. Die Assyrer dehnten ihre Macht immer weiter aus, bis sie etwa 400 Jahre später die große Eroberungsmacht Südwestasiens darstellten. Im 5. Jahrhundert v. Chr. unterwarf Cyrus, der Führer der Perser den damaligen Herrscher der Assyrer, Belsazaar, indem er die wichtigen Wasser des Euphrat ableitete. Während der nächsten zwei Jahrhunderte waren die Perser die herrschende Macht in Asien. Von Persepolis aus wurde das Land regiert und die Perser entwickelten ihre Vorherrschaft bis zur Unterwerfung durch Alexander dem Großen im Jahre 331, als er die persischen Armeen unter Darius besiegte. Das bis dahin so stolze, persische Weltreich musste sich unterwerfen und begann sich zu zersplittern.
Der erste europäische Einfluss kam durch die Griechen und Römer nach Vorderasien, die das Land zwar nicht beherrschten, jedoch ihren Einfluss sehr stark zur Geltung brachten. Erst im Jahre 226 n. Chr. gründete ein fähiger Führer eines persischen Stammes die Dynastie der Sassaniden, die während des Herrschers Kosro (531-579 n. Chr.) und seines Enkels, Kosro II vom Oxus im Norden bis nach Arabien und Ägypten im Süden und von Indien im Osten bis nach Assyrien im Westen regierte. Es war die Renaissance der Perser und die Zeit des Wohlstandes, deren Ruhm bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts fortbestand. Bis zu dieser Zeit wurde das persische Volk von dem Gedanken des Guten und Bösen beherrscht. Es war die Religion Zarathustras, die durch Cyrus dem Großen eingeführt wurde. Ahura Masta galt als der Vertreter der guten Götter und Ahriman als der böse Geist.
In Südpersien sind heute noch auf vielen Hügeln kleine Feuertempel zu sehen, die aus der zaroistischen Zeit stammen. Das Ende der Feueranbetung kam mit der Dynastie der Sassaniden, die 642 dem Ansturm der islamischen Araber unterlegen waren und hierdurch der Lehre Mohammeds freien Lauf lassen mussten. Die Lehre Mohammeds entsprach den nomadisierenden Stämmen. Nach dem Tode Mohammeds dehnten seine Nachfolger, die als Kalifen bekannt sind, ihre Eroberungen und damit die Religion aus. Der Islam unterwarf die Gebiete Turkestans bis nach Indien. Ägypten wurde nach der Belagerung Alexandriens eingenommen. Noch im gleichen Jahrhundert reichte der Einfluss bis nach Nordafrika. Die Eroberungen und die erfolgreichen Feldzüge des Islams waren nicht nur von religiöser Bedeutung. Die Mohammedaner kamen zu einer Zeit in den nordafrikanischen und vor allem in den südeuropäischen Raum, als innere Zerstrittenheit und bürgerähnliche Kriege das Land durchzogen. Darunter litt damals auch die Kunst. Nach den maurischen Feldzügen und der Eroberung der Iberischen Halbinsel im 8. Jahrhundert nahm die Kunst stark islamischen Einfluss an.
Die Kalifen die Prunk und Luxus über alles liebten, errichteten großartige Paläste in den Hauptstädten von Kleinasien bis Spanien. Die uns erhaltenen Überlieferungen klingen beute wie ein Märchen. Von dem Ausmaß der damaligen Architektur und Kunst künden noch heute manche Städte dieses Raumes mit ihren großartigen Moscheen und den vielen, gut erhaltenen Bauwerken. Zur Verbreitung von Prunk und Luxus trugen nicht nur die Architektur, die Dichtung und die Astrologie bei, sondern auch die Kunst aus verschiedenen Materialien bunte, sehr feine Textilien zu fertigen. Im Bereich Textilien kann man die Knüpfkunst an erster Stelle nennen, da die Gläubigen Teppiche zum täglichen Gebet nutzten. Diese Kunst verbreitete sich durch die Eroberungszüge auch in Ägypten, Nordafrika und zuletzt in Spanien. Spanische Knüpf-Teppiche sind bereits 1120 in Kairo bekannt. Die Technik und die Materialien dieser Teppiche unterscheiden sich von denen der klassischen Knüpfgebiete (Persien, Türkei).
Man fand in den frühen spanischen Stücken die Technik der V-Schlingen, die sich dann bei späteren Stücken mehr zur Ghiordestechnik hin entwickelte. Verschiedene Materialien wie Tierhaare, Leinen und Flachs waren ebenfalls unbekannte Grundmaterialien bei der Teppichherstellung. Hauptmusterung bei dieser Teppichgestaltung waren Blumen und Blüten, Lanzettblätter und Ranken. Nach der Befreiung Spaniens von den Mauren erfuhr die Knüpfkunst eine Weiterentwicklung bis zum 18. und 19. Jahrhundert, die mit einer Tendenz zu europäische Barockmustern verbunden war. Der nordafrikanische Raum wird in seinen weiten Wüstengebieten von Beduinen und Nomaden bevölkert. Durch die gleichen Verhältnisse in diesem Raum wie in den klassischen Knüpfländern wurden von Anfang an Teppiche mit starker Farbgebung und geometrischer Flächenornamentik in verhältnismäßig grober Knotenreihung angefertigt. Unter den heute noch vorhandenen Teppichen aus dem Atlasgebirge des 19. Jahrhunderts gibt es Exemplare in sehr grober, rustikaler Knüpfarbeit. Leuchtende Farben wie Orange, starkes Blau und Rotfärbungen herrschten vor.
Bagdad an den Ufern des Tigris mit seinen hunderten von Kanälen und nahezu einer Million Einwohnern, mit seinen zahllosen Moscheen und dem berühmten Königspalast stellte damals die Metropole des künstlerischen Lebens dar. Überlieferungen kann man entnehmen, dass in dem Palast über 40.000 Wandteppiche hingen, von denen mehr als die Hälfte aus Seide und goldbesticktem Brokat bestanden. Die Fußböden waren mit sehr feinen Teppichen belegt. Diese sehr frühe saraszenische Kunst muss als der eigentliche Ursprung der Hochblüte im 16. und 17. Jahrhundert in Zentralpersien angesehen werden.
Etwa ein halbes Jahrhundert lang beherrschte die arabisch-islamische Ideologie die Völker Südwestasiens. Um das Jahr 1000 n. Chr. bahnten sich sehr starke Völkerverschiebungen aus dem Osten an. Von Zentralasien her zogen verschiedene nomadisierende Volksgruppen nach Westen. Sie setzten sich aus verschiedenen Stämmen zusammen (Ogusen, Komanen, Petschenegen). Sie sind in unserem Sprachgebrauch als Turkvölker bekannt. Nahezu ein Jahrhundert lang zogen sie in die westlicher gelegenen großen weiten Steppengebiete des heutigen südrussischen Turkmenistans und des nördlichen Raumes von Afghanistan im Gebiet des Oxus.
Die aus den Ogusen hervorgegangenen Seldschuken besetzten zwischen dem Jahre 1040 und 1050 unter ihrem Anführer Seldschyk Persien und beherrschten im Jahre 1055 die Stadt Bagdad. Sie lösten die arabisch-mohammedanischen Kalifen ab und waren zu dieser Zeit das einflussreichste Volk Vorderasiens. Etwa um das Jahr 1073 erklärte Malek Shah die Stadt Isfahan zu seiner Hauptstadt. Durch den Sieg des Seldschuken-Sultans Alp Arsilan in der Nähe des Wan-Sees in Armenien über den byzantinischen Kaiser Romanus IV wurde Kleinasien, die heutige Türkei, besiedelt. Über Kleinasien zogen die Seldschuken weiter und besetzten Syrien und Jerusalem. Da die Bevölkerungsgruppen Ostturkestans und des zentralasiatischen Raumes aus den indogermanischen Völkerwanderungen hervorgingen, schließt sich im Mittelmeerraum ein Kreis indogermanischer Völker. Sie treffen während der Auseinandersetzungen der Kreuzzüge in den Jahren 1109 und 1117 aufeinander. In dieser Zeit sind uns bekannte Textilarbeiten des asiatischen Raumes in Europa eingeführt worden. In den Berichten wird immer von Textilgegenständen in gewebter Form gesprochen.
Wahrscheinlich wurden jedoch in dieser Zeit auf den Rückreisen der Kreuzritter auch verschiedene Knüpfobjekte mitgebracht. Das großseldschukische Reich zerfiel mit Beginn des 12. Jahrhunderts durch rivalisierende Prinzen. Im Osten konnte sich noch die Stadt Korrasan bis Mitte des 12. Jahrhunderts halten, während im zentralpersischen Raum die Macht an die Dynastie der Chwarismen Shahe abgegeben werden mussten. In Kleinasien entfalteten die Seldschuken eine blühende Bautätigkeit, von der heute vor allem in den Städten Konya und Kayseri sowie Istanbul noch deutlich Reste zu sehen sind. Nach Kämpfen mit den Kreuzfahrern unter Friedrich Barbarossa Ende des 12. Jahrhunderts drängten sie die römische Herrschaft, die in Westanatolien noch vorherrschte, mehr und mehr zurück und legten die Gründung der Türkei bis hin zum Bosporus fest.
Trotz ihrer starken kriegerischen Tätigkeit entwickeln die Seldschuken in Kleinasien eine hohe Knüpfkunst. In verschiedenen Fragmenten des 13. Jahrhunderts, die der Stadt Konya zugeschrieben werden, sind deutliche Einflüsse aus dem ostturkestanischen Raum zu erkennen. In starker geometrischer Form sind die verschiedenen Muster gezeichnet. Oktogonförmige Motive mit Doppelhaken sind zu vergleichen mit den Oktogonen oder Gülformen der Turkmenensteppe des 19. Jahrhunderts. S-Formen und Swastekas tauchen in diesen frühen Stücken genauso auf wie angedeutete Tiermotive und geometrische Muster aus der Natur. Da nur wenige Fragmente aus dieser frühen Epoche vorhanden sind, müssen auch verschiedene Muster aus frühen Gemälden Europas im 13. und 14. Jahrhundert herangezogen werden, so zum Beispiel die Lotto-Teppiche, die von Lorenzo Lotto auf vielen Ölgemälden dargestellt wurden.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts waren es wieder Nomaden aus dem zentralasiatischen Raum in der Mongolei, die nach Osten und Westen zogen, um Weiden und Wasser zu finden. Unter ihrem größten Anführer “Dschingis Khan“, eroberten sie im 13. Jahrhundert weite Teile West- und Ostasiens. Nach Westen hin wurden die Städte Samarkand und Bochara belagert und geplündert und der gesamtpersische Raum überflutet. Der Enkel Dschingis Khans errichtete seine Hauptstadt in der Provinz Aserbadjan (Nordpersien), wo seine Nachkommen mehr als 100 Jahre herrschten. Mit diesen Eroberungszügen machte sich eine neue Welle des mongolischen Einflusses in Westasiens bemerkbar. Nach dem erneuten Aufschwung Bagdads und der Zerstörung durch Dschingis Khans Nachfolger sowie der Plünderung und Zerstörung sämtlicher Kunstschätze, fehlte der Anreiz zur Weiterentwicklung der Kunst, so dass diese Zeit arm an neugeschaffenen Kunstwerken war. Durch die neuen Herrscher angefacht und ermutigt - da sie die Schönheit der persischen Teppiche erkannten - entstand erst danach wieder ein künstlerischer Aufschwung. Persische Maler, Knüpfer und Architekten wurden nach China entsandt und von dort kamen ebenfalls Künstler nach Persien.
Das großmongolische Reich Dschingis Khans reichte damals von Korea bis nach Europa. Aus dieser Zeit resultieren auch die ersten Knüpfer-Erzeugnisse Zentral- und Ostchinas. Da zu dieser Zeit die gesamte westliche und östliche Welt von nomadisierenden Völkern beherrscht wurde, ist es erstaunlich, dass man der Kunst so viel Bedeutung beimaß. Dies geschah unter dem Abkömmling Dschingis Khans „Tamerlan". Während er in seiner frühen Regierungszeit als einer der raubgierigsten Feldherren bekannt war, residierte er in seinen späteren Jahren in der Hauptstadt Samarkand, wo er sich mit einem sehr großen Hofstaat umgab und Paläste und Tempel bauen ließ.
In seiner Hauptstadt trafen sich geschickte Handwerker aus Ost- und Westasien. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts sahen europäische Reisende dort unzählbare Kunstschätze, zu denen auch Teppiche von feinster Arbeit und vollendeter Schönheit gehörten. Mit dem Tode von Tamerlan im Jahre 1405 kam die otomanische Macht im Herzen von Kleinasien zu erneuter Blüte, bis im Jahre 1453 Konstantinopel fiel und die Haghia Sophia in eine Moschee umgewandelt wurde. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts konnte sich die Safawiden-Dynastie durchsetzen. Sie gründete eine neue Ära in Persien. Mit diesem Aufstieg begann eine der glänzendsten Perioden in der Geschichte der persischen Kunst. Innerhalb weniger Jahre konnte der damalige Shah Ismail mit zahllosen Siegen wieder den großpersischen Raum vom Euphrat bis nach Afghanistan und vom persischen Golf bis nach Turkmenien gründen.
Seine Residenz hielt er in Ardebil, einer kleinen Stadt in Nordpersien, an den Ausläufern des Kaukasus. Aus dieser Zeit stammt der noch sehr gut erhaltene Ardebil-Teppich, der im Victoria- und Albert-Museum in London zu sehen ist. Dieser Teppich hat eine Ausdehnung von 11,52 Meter auf 5,34 Meter und wurde für die Moschee in Ardebil gearbeitet. Mit rund 5.000 Knoten pro Quadratdezimeter stellt er eines der feinsten und frühesten Stücke des nordpersischen Aserbadjan- Gebietes der Safawiden-Zeit dar.
Nachdem die nordpersische Stadt Täbris zur Metropole Persiens erklärt wurde, war der Weg frei, um die privilegierten Künstler des Staates wieder ans Werk zu lassen. Schah- Abbas der Große verdrängte die Türken aus dem nördlichen Bereich des Landes und stellte so wieder Ruhe und Ordnung her. Er förderte die Kunst, den Handel und die Wirtschaft und machte das gesamte Land nach den Wirren und den Verwüstungen der Kriege zu einem wohlhabenden Staat. Seinen Hof verlegte er nach Isfahan, wo der Prunk der Stadt noch vergrößert werden sollte. Der Architektur wurden damals keine Grenzen gesetzt.
Quelle: Antike Meisterstücke Orientalischer Knüpfkunst, Jubiläumsausgabe 1975, Peter Bausback, Mannheim 1975